Forschung

Ethik und Architektur

Hana Gründler und Brigitte Sölch mit Albert Kirchengast und Alessandro Nova

Das Spektrum der Fragen nach dem Verhältnis von Ethik und Architektur ist breit. Es reicht von der Vitruv- und Aristotelesrezeption des Trecento über Überlegungen zur moralischen Dimension von Architektur im 18. Jahrhundert bis hin zur aktuellen Theorie und Praxis des Bauens. Diese Vielfalt sollte auch die Kunstwissenschaft und Architekturgeschichte zur historisch begründeten Untersuchung und Auseinandersetzung mit diesem Themenfeld anregen. Zumal das Nachdenken über Ökologie, gerechte Verteilung und nachhaltigen Einsatz von Ressourcen seit einigen Jahren erneute Debatten um eine Ethik der Architektur auslöst. 

Ziel der Projektgruppe ist es, diese komplexe und zum Teil widersprüchliche Relation von Ethik und Architektur aus einer diachronen und problemorientierten Perspektive zu beleuchten und zugleich in einen interdisziplinären Diskurs einzubetten. Sowohl die Architekturbiennalen in den Jahren 2000 und 2016 in Venedig, als auch die Jubiläen des Werkbundes und des Bauhauses waren von Forderungen nach einer theoretischen Neubegründung begleitet, von der Besinnung auf das Wesentliche und dem Wunsch nach einem mutigen Zugeständnis an das utopische, gesellschaftsverändernde Potential von Architektur. Diese Ansätze sind in Zeiten weltweiter Migrationsbewegungen, den damit einhergehenden sozialen und politischen Herausforderungen, aber auch ethischen Verantwortlichkeiten bedeutsamer denn je. So vielfältig und aktuell die Auseinandersetzung mit dem Thema inzwischen erscheinen mag: Weder das Bauen noch die Architektur sind in jüngeren Handbüchern zur Ethik integriert. Auch stehen kunst- und architekturgeschichtliche Studien aus, die historisch vergleichende und wissenschaftsgeschichtliche Perspektiven einnehmen und etwa Positionen des Mittelalters und der Renaissance systematisch einbeziehen. 

Nach einer ersten Tagung zu Ethik und Architektur im Jahr 2010 lag ein besonderer Schwerpunkt auf dem Thema Hyper. Architektur und (Mehr-)Wert – wobei es sich beim Wertbegriff sowohl um eine ökonomische als auch eine ethische Kategorie handelt, deren Beziehung zum Ästhetischen der Workshop im Dezember 2014 untersuchte. Unter anderem wurde darin diskutiert, welchen Platz "Hyper" in der architektonischen Praxis (Kathedralen, Megabaustellen und Megacities, Film- und Bühnenarchitekturen etc.) und im Sprechen über Architektur einnimmt und welche Positionen zum Beispiel im Zeichen der Kritik an eben diese Architekturen herangetragen werden. Dabei ging es auch darum, zu analysieren, inwiefern eine solche Kritik ethische beziehungsweise moralische Standpunkte überhaupt erst auslöst.

Fragen wie diese sind zugleich Gegenstand des Formats der Ethik- und Architektur-Dialoge. Diese bieten ein Forum für den interdisziplinären Austausch und setzten 2014 mit dem Thema Crossing the Line: Colonial and Postcolonial Architecture in Africa (Brigitte Sölch mit Andres Lepik und Simone Bader vom Architekturmuseum der Technischen Universität München) ein. Sie wurden 2015 mit einem Dialog zu Architektur, Ästhetik und Moral – Eine Verhältnisbestimmung (Hana Gründler mit Christian Illies und Martin Düchs vom Lehrstuhl für praktische Philosophie der Otto-Friedrich Universität Bamberg) sowie einem zu The Architect's Confrontation with Social and Societal Problems (Nele de Raedt mit Maarten Delbeke und vier Studierenden des Department of Architecture and Planning der Ghent-University) fortgesetzt. Geplant sind weitere Gespräche zum Verhältnis von Psychiatrie und Architektur (Hana Gründler) sowie zu Fragen der (emotiven) Wahrnehmung und Wirkung von Architektur (Brigitte Sölch).

Die Untersuchung der Wirkung von Architektur war auch für den Workshop Erziehung durch Architektur und Arbeit am Selbst? Eine Kritik von Bedeutung (2017). Dabei ging es insbesondere darum, näher herauszukristallisieren, inwiefern Architektur die Menschen nicht nur ästhetisch, sondern auch ethisch sensibilisiert und erzieherisches Potential besitzt. Die Geschichte der Architektur und ihrer Theorie ist reich an Beispielen, die die Frage nach dem Verhältnis von Architektur, Ethos und Paideia aufwerfen. Dieses Verhältnis birgt jedoch auch Schattenseiten in sich – man denke etwa an die stalinistische, rationalistisch-faschistische und nationalsozialistische Architektur-Pädagogik. Dies wird auch in Formen der epistemischen Gewalt greifbar, die sich gerade in aufgezwungenen Erziehungsmodellen manifestieren – ein Aspekt, der grundlegend ist, um kritisch über (post-)koloniale Architektur und den Import von westlichen Wissensidealen nachzudenken.

In einer Stadt wie Florenz, in der die Beziehung zwischen Ethik, Moral und Architektur gerade im 14. und 15. Jahrhundert eingehend reflektiert wurde, sucht das Projekt somit aus einer geisteswissenschaftlichen Perspektive eine inhaltliche und methodische Auseinandersetzung mit der Thematik, die für gegenwärtige Diskurse, Planungen und Probleme sensibilisiert, diese zugleich historisch-kritisch reflektiert, und nicht zuletzt zum Nachdenken über die Realbedingungen von Architektur auffordert.

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