Forschung

Vasaris Welten und die deutsche kommentierte Ausgabe der 'Vite' in den beiden Editionen von 1550 und 1568

Alessandro Nova, Matteo Burioni, Katja Burzer, Sabine Feser, Jana Graul, Hana Gründler, Fabian Jonietz und Victoria Lorini

Giuseppe Fattorusso: Italian Schools of Painting: The Renaissance in Italy (Detail), New York und Florenz 1922

Das Werk und Denken Giorgio Vasaris bildet für die europäische Kunstwissenschaft bis heute das wichtigste Referenzmodell und einen konstanten methodologischen Prüfstein: Analog zur Auffassung, dass die westliche Philosophie, einem Aphorismus Alfred North Whiteheads zufolge, lange Zeit eine "Reihe von Fußnoten zu Plato" darstellte, setzt sich die Kunstgeschichte seit rund 450 Jahren kritisch mit den Vite de' più eccellenti pittori, scultori et architettori auseinander.

Bekanntermaßen beinhaltet das einflussreichste kunsthistoriografische Werk der europäischen Neuzeit weit mehr als faktische Angaben über Künstler und ihre Kunstwerke. Vielmehr bildet es einen vielschichtigen Ausgangs- und Bezugspunkt für aktuelle Fragen der kunstwissenschaftlichen Forschung. Das Interesse an der methodologischen Bedeutung Vasaris steht auch im Zentrum des seit 2006 am Kunsthistorischen Institut in Florenz angesiedelten Projekts der kommentierten deutschsprachigen Ausgabe der 1568 publizierten zweiten Ausgabe der Vite. Ausgehend von einer textgetreuen Übersetzung sämtlicher Künstlerbiografien und theoretischen Kapitel, die in zahlreichen Einzelbänden und eBooks im Berliner Wagenbach-Verlag erscheinen, wird die Analyse des literarischen Texts und seines dokumentarischen Gehalts mit einer grundsätzlichen Untersuchung der Arbeitsweise Vasaris und theoretischer Konzepte, die seinen Schriften zugrunde liegen, verbunden.

Die kritische Edition des Texts wird im Rahmen des Forschungsprojekts von Anfang an durch wissenschaftliche Veranstaltungen, Studien und Einzelpublikationen begleitet, die diese Aspekte in übergreifender Weise kontextualisieren. Nach dem 2010 publizierten Tagungsband Die Vite Vasaris: Entstehung, Topoi, Rezeption wurde 2013 mit Giorgio Vasari e il cantiere delle Vite del 1550 eine Untersuchung vorgelegt, die sich auf die von der Forschung gemeinhin weniger beachtete Erstausgabe konzentriert. Parallel zu diesem gemeinsam mit den Universitäten Roma Tre und Roma "Tor Vergata" entstandenen Band kooperierte das Forschungsprojekt zudem mit der Accademia delle Arti del Disegno  um mit I mondi del Vasari: accademia, lingua, religione, storia, teatro in einer interdisziplinären Herangehensweise die Bedeutung der Vite über die Fachgrenzen hinaus zu überprüfen.

Giorgio Vasari: Le Vite de' più eccellenti pittori, scultori, e architettori, Frontispiz, Florenz 1568

Der 2016 publizierte Tagungsband Vasari als Paradigma: Rezeption, Kritik, Perspektiven wiederum widmete sich der Rezeption Vasaris und der Rolle der Vite für die moderne Disziplin der Kunstgeschichte. Fraglos nimmt die stark von methodologischen Öffnungen nach 1900 und Neuorientierungen ab den 1970er-Jahren geprägte kunstwissenschaftliche Forschung heute davon Abstand, Vasari den uneingeschränkten Status eines "Vaters" ihres Fachs zuzuerkennen, wie es noch im 19. Jahrhundert üblich war. Die ausdrückliche Distanzierung und Abgrenzung von Vasari und seinen normativen Deutungsmustern unterstreicht jedoch, dass bis heute das "Schreiben über Kunst" kaum ohne eine kritische Auseinandersetzung mit dem Modell der Vite möglich ist.

Die Problematisierung grundsätzlicher Themen wie der Historizität bildanalytischer Verfahren, normativer Setzungen und Deutungsmuster, der Verschriftlichung visueller Eindrücke oder der Synthese zahlreicher Einzelanalysen im Hinblick auf größere geschichtliche Zusammenhänge sind mit Forschungen zum Konzept der Renaissance oder zur Bedeutung der Sprache für das Denken über Kunst eng verknüpft: Fragen, Probleme und Perspektiven, denen das am Kunsthistorischen Institut in Florenz angesiedelte Forschungsprojekt auch durch die geplante Neuausgabe der 1550 publizierten ersten Fassung der Vite nachgehen wird, die es insbesondere erlauben wird, Vasaris spätere Auseinandersetzung mit seinem eigenen Werk in einem neuen Licht zu sehen.

Giorgio Vasari, Der Lydier Gyges (Der Ursprung der Kunst), um 1572, Florenz, Casa Vasari

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