Tanja Michalsky: Memoria, splendor und misura. Familienkapellen im überregionalen Vergleich

Abendvortrag im Rahmen des Studienkurses "Familienrepräsentation und Heiligeninszenierung - Kapellen in Florentiner Kirchen vom 14. bis zum 17. Jahrhundert"

Memoria ist bekanntlich ein totales soziales Phänomen. Einerseits wird darunter die Erinnerung an einzelne Personen verstanden sowie deren Organisation etwa durch Fürbittgebete und Seelenmessen. Andererseits jedoch, viel umfassender, formiert sich im System der Memoria die Identität einer Gesellschaft, die sich in der Erinnerung an Personen, Ereignisse und soziale Zusammenhänge ihrer selbst vergewissert.

An der Ausstattung von Familienkapellen lassen sich ganz in diesem Sinne sowohl die Intentionen der einzelnen Stifter ablesen, Familienangehörige und damit die ganze Familie in besonders gutem Licht darstellen zu lassen, als auch das Referenzsystem, innerhalb dessen die Familie sich verortet. Dazu gehören jenseits der gesellschaftlichen Ordnung und der sozialen Stellung der Familie als Bezugsgrößen andere Kapellen der gleichen Stadt oder Region, sowie Kapellen aus weiter entfernten bedeutenden Städten, die auf je unterschiedliche Weise Programm und Decorum bestimmen.

Der Vortrag beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit lokale und überregionale Kontexte die konkrete Gestaltung von Familienkapellen bestimmen, und wird dies an Fallbeispielen aus Neapel und Florenz erörtern.

Tanja Michalsky

Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und Germanistik in Trier und München. Promotion an der Ludwig-Maximilians-Universität München 1995 (Memoria und Repräsentation. Die Grabmäler des Königshauses Anjou in Italien), 1995-2000 wiss. Mitarbeiterin am Kunstgeschichtlichen Institut der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main; 2002-2004 Förderung der Habilitation zur niederländischen Landschaftsmalerei durch das Lise-Meitner-Programm (Seminar für Kunstgeschichte der Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf). 2004/05 Research Professor an der Italian Academy for Advanced Studies in America at Columbia University, New York. Ab Dezember 2004 Hochschuldozentin in Frankfurt am Main, seit April 2007 Professorin an der Universität der Künste Berlin.

Den beiden großen Arbeiten entsprechend liegen die Schwerpunkte der Forschung auf der italienischen Skulptur und politischen Bildsprache des Spätmittelalters und der Malerei und Kunsttheorie der Niederlande in der Frühen Neuzeit.

Die Untersuchung der politischen und soziologischen Relevanz und Aussagekraft von Kunstwerken derart diverser Kontexte ist der gemeinsame Nenner. Die Suche nach dem historischen Verständnis von Bildern und Monumenten steht im Mittelpunkt. Methodisch resultiert daraus einerseits eine interdisziplinäre Orientierung, um die Kontexte des historischen Verständnisses möglichst dicht rekonstruieren zu können, andererseits der Versuch, genuin kunsthistorische Verfahren stark zu machen, die der spezifischen Materialität kultureller Produkte Rechnung tragen.

Im Vordergrund steht das Verständnis von kollektiven Bildwelten, die sich in diversen Medien und kommunikativen Systemen niederschlagen. Dies gilt ebenso für das gesellschaftliche System der Memoria, das sich in der Verteilung, den Standorten und den Programmen der Gräber äußert, wie auch für die vorstellungsbildende Kraft von Bildern und Karten im Prozeß der Herausbildung einer nationalen Landschaft, wie er im 17. Jahrhundert in den Niederlanden abzulesen ist.

Reflexionen über den erkenntnistheoretischen Status von Bildern wie auch über ihre kulturelle und gesellschaftliche Kodierung bilden darüber hinaus den Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit Gegenwartskunst, Film und den bildgebenden Verfahren der Neurowissenschaften.

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