Forschung
Widerstandsbild und soziale Norm
Carolin Behrmann
Über die in den Medien verbreiteten Bildformulare von Widerstand und Revolte werden politische Systeme als gerecht oder ungerecht, demokratisch oder undemokratisch dargestellt. Im "Zeitalter des Widerstands", in dem eine Zunahme von emanzipatorischen und zivilgesellschaftlichen Handlungen zu verzeichnen ist, finden diese Bilder ubiquitäre Verbreitung. Über die soziotechnische Architektur der Social Media behaupten sie nicht nur einen festen Platz in den Aufmerksamkeitsökonomien der Gegenwart, sondern prägen auch künstlerische Formenrepertoires. Künstler, die als Aktivisten und Dissidenten auf politische Missstände und Rechtswidersprüche verweisen, definieren ein neues, vielseitiges Genre. Diese kanonisierte Kategorie 'politischer Kunst', reagiert nicht allein auf bestimmte soziale und politische Zusammenhänge. Mit der aktiven gesellschaftskritischen und sozialen Handlung setzt sich die Position des Künstlers auch bewusst in ein verändertes Verhältnis zum geltenden Recht. Einhergehend mit der Idee des (politischen) Subjekts, das über die Disziplinar- oder Überwachungsmechanismen, oder die in Demographie und Verwaltung entfaltete Bio-Macht konstituiert wird, werden die Konstruktionen des Kollektiven und der Subjekte in ihrem Verhältnis zum Recht untersucht. So stellen Aktivisten und 'virtuelle Kollektive' von Hackern und Whistleblowern nicht nur die Kontrollmöglichkeiten der staatlichen Sicherheitsarchitekturen, sondern die kodifizierten und legitimierten politischen Bühnen an sich in Frage, zu denen das Parlament genauso gehört wie die öffentliche Kundgebung.
Das Projekt untersucht verschiedene Bildformen der Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen sozialer und rechtlicher Normativität. Eine aktuelle Tendenz der 'Ästhetiken des Widerstands', so die hier zu diskutierende These, kann mit einem Selbstverständnis der Kunst in Zusammenhang gebracht werden, die sich als Antinomie, bzw. als im Widerstreit mit einem repressiven Normensystem versteht. In kritischer Konfrontation mit den Postulaten der Postmoderne haben bestimmte Evidenz- und Authentizitätsprinzipien, vor allem in Fotografie und Videoarbeiten, den Wert und die Kritikfähigkeit der zeitgenössischen Kunstproduktion zu schärfen gesucht. Nach dieser 'anti-ästhetischen' Wende lässt sich in Kunstformen der 'klassischen Moderne' wie der Skulptur, Malerei oder Zeichnung, dem Druck, der Assemblage oder dem Readymade weiterhin eine nachdrückliche Auseinandersetzung mit Materialitäten feststellen. Im Rückgriff auf bewährte Bildmotive des Widerstands, Protestsemantiken oder Figuren des zivilen Ungehorsams, wird nach dem "Ende der Anti-Ästhetik" ein ästhetisches Moment erkennbar, das gleichzeitig eine Distanz zum Faktischen wie auch eine Verselbständigung anstrebt, und den Fokus auf die Praktiken sozialer Normenbildung richtet.