Genetische Zeichnungskritik an Beispielen Florentiner Zeichner und besonders Leonardos da Vinci

Workshop mit Albert Boesten-Stengel

Materiell ist Zeichnen ein Hinzufügen und teilweises Verdecken des schon Gezeichneten, im Bildeffekt ein fortgesetztes Verwandeln. Neben die Darstellung, etwa eine Figur 'in Bewegung', tritt eine zweite, die anamnestisch-proleptische Anmutung der Faktur, als sähen wir, wie diese Figur soeben hervorgebracht oder verändert würde. Roman Jakobson unterschied danach Sprachstile, wie sich jeweils verknüpfte Glieder unter den Aspekten formaler und thematischer Austausch- oder Ergänzbarkeit zueinander verhalten - bis hin zu seiner Definition des poetischen Modus als einer Projektion des Prinzips der Äquivalenz von der Achse der Auswahl auf die Achse der Verknüpfung. Er postulierte, dass diese Stilistik auch auf andere als sprachliche Medien anzuwenden wäre. Ganz in diesem Sinn manifestieren zeichengenetische Sequenzen zwei elementare Funktionen. Ein Strich verhält sich zum vorhergehenden entweder als Präzisierung und Konkretisierung des zuvor Angedeuteten oder als Alternative an dessen Statt. Genetische Kritik unternimmt es, anhand der noch an der Oberfläche einer Zeichnung ablesbaren Schritte deren genetische Tiefendimension auszuleuchten. Wie die genetische Kritik der literarischen Manuskripte geht sie dabei von der 'auktorialen Selbstrezeption' aus. Der Zeichner reagierte auf das, was er selbst hervorgebracht hatte. Dieselbe Aufmerksamkeit für seine eigenes Vorgehen, die zeichnerische Faktur und ihre bildlichen Effekte, befähigte ihn auch, Genesen zu fingieren oder tatsächliche Genesen darstellerisch zu akzentuieren. Die für jede genetische Kritik relevante Frage genetischer Trugschlüsse, der vielleicht nur nachträglich und fremden Augen so vorkommenden Abhängigkeiten und Abfolgen, stellt sich damit neu, nämlich im Rahmen künstlerischer 'poiesis'.

Prof. nadzw. dr hab. Albert Boesten-Stengel studierte als Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes Kunst- und Baugeschichte, Philosophie, Literaturgeschichte und klassische Archäologie an den Universitäten in Aachen, Florenz und Freiburg im Breisgau. Er promovierte 1986 an der Universität in Freiburg i. Br. (bei Prof. Dr. Erik Forssman).

1983-87 mehrfach Stipendiat des Deutschen Studienzentrums in Venedig; 1988-1995 Museumstätigkeit. 1989-2004 Forschungen zur italienischen Malerei und Handzeichnung der Renaissance und des Frühbarock mit Aufenthalten an den Sammlungen u.a. in Florenz, Paris, London, Oxford und Windsor Castle; Lehraufträge an den Universitäten in Stuttgart und Würzburg. 2004 Habilitation an der Universität Würzburg; 2005-2006 Gastprofessuren an der Karlsuniversität in Prag und der Jagiellonen-Universität in Krakau.

Seit 2005 ist Albert Boesten-Stengel Professor für Kunstgeschichte an der Geschichtswissenschaftlichen Fakultät der Uniwersytet Mikołaja Kopernika (Nikolaus Kopernikus-Universität) in Toruń. Seine Forschungsgebiete umfassen Theorie und Methode der historisch-kritischen Bildwissenschaft, Zeichnungswissenschaft, 'arti del disegno' seit Giotto und Antikenrezeption.

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