Forschung

Das wissende Bild.
Epistemologische Grundlagen profaner Bildlichkeit vom 15. bis 19. Jahrhundert

Max-Planck-Forschungsgruppe
Michael Thimann

Laufzeit: 2006 – 2011

Samuel van Hooghstraten: Selbstbildnis als Leser, 1644. Rotterdam, Museum Boymans-van Beuningen

Im interdisziplinären Dialog von Kunstgeschichte, Philosophie und Wissenschaftsgeschichte untersuchte die Selbständige Nachwuchsgruppe (seit 2008 Max Planck Research Group) zwischen 2006 und 2011 Formen und Funktionen der Produktion, Konzeptualisierung und Repräsentation von Wissen im profanen Bild der Frühen Neuzeit. Die erste Phase der Zusammenarbeit galt vor allem der Konturierung des gemeinsamen Forschungsfeldes, etwa der Problematisierung der traditionellen Abgrenzung des "wissenschaftlichen" Bildes vom autonomen Kunstbild, sowie der Ausdifferenzierung der Teilprojekte, wobei sich folgende Schwerpunkte herausgebildet hatten: Epistemische Bilder: die erkenntnisleitenden Funktionen von Bildern in der wissenschaftlichen Erschließung der Natur (Claus Zittel) und die ästhetische Repräsentation von Naturkatastrophen (Vera Koppenleitner); die Rezeption und Umdeutung der Antike, insbesondere der Mythologie, als Motor der künstlerischen Fiktion und Phantasie (Michael Thimann), Künstlerwissen und Künstlervita (Heiko Damm).

Gemeinsame Anstrengungen galten zunächst der wissensgeschichtlichen Erforschung der Handzeichnung, ihrer Theoretisierung in der italienischen 'disegno'-Lehre und ihrer epistemischen Funktionalisierung bei Künstlern, Naturforschern und Gelehrten vom 14. bis 17. Jahrhundert. Hier sind die internationale Fachkonferenz Experience and Manner. Humanists as Draftsmen in Early Modern Europe vom Oktober 2006 an der Freien Universität Berlin (Tagungsakten erschienen 2009 im Wallstein-Verlag, Göttingen) und die in Zusammenarbeit mit dem Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin veranstaltete Ausstellung Disegno. Der Zeichner im Bild der Frühen Neuzeit (23. November 2007 - 24. Februar 2008) zu nennen. Grundlegend konnte in Hinblick auf die Fragestellung der Forschergruppe festgestellt werden, dass die Erforschung epistemischer Bilder in der Kunst- und Wissenschaftsgeschichte der Frühen Neuzeit auch im Kontext der Intellektualisierung und Theoretisierung der Handzeichnung durchzuführen ist. Die gemeinsamen Anstrengungen der Zukunft gelten nun insbesondere der Vertiefung von Fragestellungen zum Verhältnis von Ästhetik und Naturphilosophie, Künstlerwissen und dem Problem der Antike und ihrer Deutung im wissenschaftlichen und künstlerischen Bild. Die bildliche Repräsentation von Naturkatastrophen als Teilgebiet des neuzeitlichen Profanbildes wurde im Rahmen der internationalen Fachtagung zur Bildgeschichte des Stadtbrandes untersucht (Urbs incensa - Ästhetische Transformationen der brennenden Stadt in der Frühen Neuzeit, Berlin, Harnack-Haus der Max-Planck-Gesellschaft, 25.-27. September 2008; in Kooperation mit dem Historischen Seminar der Universität Luzern (CH), SNF-Forschungsprojekt Von der Präsentation zum Wissen. Athanasius Kircher und die Sichtbarmachung der Welt, Leiter Prof. Dr. Lucas Burkart). Der Komplex des 'Künstlerwissens' im Hinblick auf Epistemologie und historische Bildungsforschung wurde in einem gemeinsam von der Selbständigen Nachwuchsgruppe (Max Planck Research Group) unter dem Titel The Artist as Reader herausgegebenen Band von Intersections. International Yearbook for Early Modern Studies (2009) vertieft. Hier steht die Frage im Vordergrund, welche Wissensbestände für Künstler und Kunsthandwerker relevant waren, welche Wissensansprüche im und durch das Bild erhoben werden konnten, und wie die Wissensvermittlung, insbesondere durch das Medium Buch, erfolgte. Künstlerbibliotheken und Künstlerlektüre werden in dem Sammelband in einer Anzahl von Fallstudien untersucht und mit systematischen Fragestellungen zur historischen Epistemologie verbunden. In diesem Zusammenhang hat die Forschergruppe eine eigene Schriftenreihe, die Texte zur Wissensgeschichte der Kunst, begründet, in der insbesondere das Kerngebiet der historischen Kunsttheorie und Kunstliteratur in kommentierten Editionen mit Fragen der Wissens- und Wissenschaftsgeschichte verbunden wurde. Als erster Band erschien Ende 2008 die Edition von Georg Philipp Harsdörffers Kunstverständigem Discurs von der edlen Mahlerey (Nürnberg 1652), der bereits deutlich zeigt, dass die über Bilder geführten Diskurse im frühneuzeitlichen Kunstgespräch weit über das traditionelle Gebiet der Kunstgeschichte hinaus weisen.

Die Hauptformen, wie sich Wissen und Bild aufeinander beziehen lassen, sind: 1. auf das Bild bezogen: Wissen als Gehalt und Grundlage (Mythographie, Naturphilosophie), 2. auf die Bildproduktion bezogen: Epistemische Funktionen von Bildern (Zeichnerisches Konzeptualisieren, ästhetische Formen der Wissensgenierung in den Wissenschaften im Vergleich mit der Wissensgenerierung in der bildenden Kunst im engeren Sinne), 3. auf den Künstler und die Kunst-Rezeption bezogen: Repräsentation, Rechtfertigung, Tradierung und Kanonisierung von Wissen durch das Bild (Künstlerwissen). Bleibt zwar die Antike in der Frühen Neuzeit immer eine zentrale Referenz für die Kunsttheorie und Bildgeschichte, wie insbesondere im Rahmen des Kooperationsprojektes mit der Ludwig-Maximilians-Universität München zu den Götterbildern untersucht wird, so ist die Integration und Repräsentation von aktuellem naturkundlichen und naturphilosophischen Wissen für die Bildkultur Europas in der Frühen Neuzeit zentral. Das bloße Inkorporieren von Informationen und überlieferten Wissensbeständen reicht indes nicht aus, um ein Bild als wissendes Bild zu qualifizieren (sonst wäre jedes Bild ein wissendes Bild), sondern im Bild muss die Art und Weise, wie in ihm Wissen repräsentiert ist, mit ästhetischen Mitteln reflektiert werden. Hierauf wird der wesentliche Akzent der gemeinsamen Arbeit in der Zukunft liegen: Wie können diese Formen der ästhetischen Reflexion, die aus einem Bild ein wissendes Bild machen, bestimmt werden? Und: Wie kann eine Wissensgeschichte des Bildes, die auf nichtpropositionalen Wissensformen basiert, in eine allgemeine Geschichte des Wissens und der Wissenschaften (die häufig solche Wissensformen nicht anerkennen) integriert werden und welche spezifischen Akzente wären damit gesetzt? Wie lässt sich eine Wissensgeschichte des profanen Bildes in der Neuzeit schreiben, ohne der Gefahr zu erliegen, die hohe Differenzierung im Bildgebrauch aus dem Blick zu verlieren und die epistemischen Funktionen der Bilder in ihren jeweiligen Kontexten angemessen zu berücksichtigen?

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